Der Ermittlungs-Profi Miles Flint glaubte bisher, alles über seine jüngst verstorbene Mentorin Paloma zu wissen. Doch dann findet er in ihrer Hinterlassenschaft Hinweise auf einen eigenartigen Fall. Die Spur führt ihn zur angesehenen Aleyd Corporation und darüber hinaus in seine eigene Vergangenheit, in der nicht alles so zu sein scheint, wie er es glaubte.
von Frank Stein
„Kallisto“ ist der sechste Band der Reihe um den Lokalisierungsspezialisten Miles Flint. Flint ist ein ehemaliger Cop, der den Dienst quittiert hat, um fortan nur noch seinem Gewissen folgen zu müssen, statt fragwürdigen Aliengesetzen. Er hat sich selbstständig gemacht hat und arbeitet als Mann, der Verschwundene auffindet – jedoch nicht, um sie wie ein Kopfgeldjäger dem Gesetz zuzuführen, sondern eher um selbigen gute Nachrichten zu überbringen (etwa die Aufhebung eines Haftbefehls).
Diesmal jedoch hat er es mit keinem normalen Fall zu tun; vielmehr rutscht er in eine Geschichte hinein, von der ihm gar nicht bewusst ist, wie brenzlig sie gerade ist. In den Dateien seiner vor Kurzem verstorbenen Mentorin Paloma findet er einige Datenfragmente über seine Tochter Emmeline. Eigenartig daran ist nur, dass Emmeline bereits vor Jahren als Kleinkind ums Leben gekommen ist, getötet von dem nachlässigen Betreuer einer Kindertagesstätte. Flint fängt an zu graben, und kommt dabei auf eine unglaubliche Spur. Ist es möglich, dass seine Tochter noch lebt und sich auf dem Jupitermond Kallisto befindet?
Autorin Kristine Kathryn Rusch hat ihre Geschichte diesmal in drei Handlungsstränge aufgeteilt, von denen sich zwei erst spät und einer nach seiner anfänglichen Abspaltung gar nicht mehr mit den beiden anderen trifft. Zum einen hätten wir da die Geschichte von Rhonda Shindo, vor ihrer Scheidung Rhonda Flint, der Ex-Frau von Miles Flint. Nach der Trennung von ihrem Mann im Anschluss an den Tod der gemeinsamen Tochter hat sie ihre Heimat, den Mond verlassen, und arbeitet nun für die Aleyd Corporation auf Kallisto. Dort wird sie von so genannten Beschaffern entführt, die sie einer außerirdischen Regierung übergeben wollen, der gegenüber sie ungewollt ein furchtbares Verbrechen, wenn auch lange zurückliegendes Verbrechen begangen hat.
Dem Kampf gegen ihre Entführer wird viel Raum gegeben, und das erzeugt ein Gefühl von Dringlichkeit, das umso stärker in den Passagen mit Miles Flint wirkt, der von all dem natürlich nichts weiß und gleichzeitig nur langsam die Hintergründe um den Tod seiner Tochter aus alten Dateien rekonstruiert. Doch so sehr man hofft, dass er die Zusammenhänge rasch genug begreift, sich nach Kallisto aufmacht und seine Frau rettet, so deutlich steht einem auch vor Augen, wie an den Haaren herbeigezogen die Gleichzeitigkeit der Entführung von Rhonda hier und des Datenfundes durch Miles da eigentlich ist. Es existiert keinerlei direkte Verbindung zwischen diesen Handlungssträngen, die als gemeinsamer zeitlicher Auslöser hätte dienen können.
Der dritte Handlungsstrang folgt Talia Shindo, Rhondas dreizehnjähriger Tochter, die sich nach dem Verschwinden ihrer Mutter alleine auf Kallisto durchschlagen muss und dabei in einen bürokratischen Dschungel gerät. Die Polizei, alte Anwälte ihrer Mutter und Repräsentanten der Aleyd Corporation geben sich bei ihr die Klinke in die Hand, und obwohl sie nur will, dass ihre Mutter gefunden wird, muss sie sich auf einmal mit Fragen herumschlagen, die sich alle um den Fall drehen, was geschieht, wenn Rhonda sterben sollte. Das wirkt seltsam unpassend in diesem Moment, und es verwirrt auch ein bisschen, dass die tatsächliche Polizeiarbeit kaum beleuchtet wird, sondern dass es fast ständig nur um juristische Winkelzüge geht. So fühlt man sich dem Verbrechen der Entführung seltsam fern, obwohl man sich auf Kallisto direkt am Schauplatz des Geschehens befindet.
Fazit: Mit „Kallisto“ bleibt Kristine Kathryn Rusch ihrem Stil treu. Wieder wird sehr viel ermittelt, stehen Datenrecherche und juristische Spielchen im Vordergrund. Durch den Erzählstrang der entführten Rhonda erhält die ganze Handlung für den Leser zwar eine spürbare Dringlichkeit; diese scheint sich jedoch nur bedingt auf die Protagonisten zu übertragen – am Wenigsten auf Flint, der von dem Zwischenfall sowieso erst kurz vor Schluss erfährt. Rusch opfert hier Dramatik zugunsten von etwas, das man bürokratischen Realismus nennen möchte. Das hat seinen Reiz, weckt allerdings auch ein wenig den Unmut des Lesers, denn warum bemüht Rusch erst einen unwahrscheinlichen Zufall (den, dass Rhonda entführt wird und Miles zeitgleich ihren alten Fall bei Palomas Akten findet), wenn dann nichts daraus gemacht wird?
Kallisto (Miles Flint Bd. 6)
Science-Fiction-Roman
Kristine Kathryn Rusch
Bastei Lübbe 2009
ISBN: 978-3-404-23339-7
432 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 8,95
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